„Es war jetzt schon der Beginn einer Love-Story“

norrden hat sich mit „Frauen Fische Fjorde“-Autorin Anne Siegel im winterlich kalten Köln zum Interview getroffen. Bei heißer Zitrone mit Honig plaudert sie über isländische Nächte, ihre Erlebnisse während der Arbeit am Buch und auf den Lesungen, und ihren bisher schönsten Moment auf Island.

Liebe Frau Siegel, Reykjavík kennen Sie inzwischen wahrscheinlich wie Ihre Westentasche! Wie viele Tage und Nächte haben Sie für Ihr Buch auf Island verbracht?
Ich habe viel im Winter recherchiert, deshalb kommt es mir vor wie eine Dauernacht. Es war schon gewöhnungsbedürftig, dass es permanent dunkel war. Die Tage habe ich ehrlich gesagt nicht zusammengezählt; ich war für das Buch vier Mal dort und dann immer für ein paar Wochen.

Wann waren Sie zum allerersten Mal auf der „Insel aus Feuer und Eis“?
Vor 14 oder 15 Monaten, es war schon Winter. Bei meiner Lesung vor einigen Tagen in der Isländischen Botschaft in Berlin habe ich mich tatsächlich gewagt, vor 230 Leuten zu sagen, dass ich nicht einer dieser Freaks im Norweger-Pullover bin, der schon sieben Gletscher hochgekraxelt ist. (lacht) Als ich das ausgesprochen hatte, schaute ich etwas furchtvoll ins Publikum und entdeckte dann auch zwei Norweger-Pullover. Die guckten erst leicht indigniert und dann haben Sie ziemlich gelacht. Und dann haben alle gelacht. Island hat mich aber schon immer sehr interessiert und es war jetzt schon der Beginn einer Love-Story: Als ich den ersten Fuß auf Island gesetzt habe, hab‘ ich mich sofort rasend wohl gefühlt. Auch mit den Menschen da.

Sprechen Sie denn mittlerweile auch ein paar Brocken Isländisch?
Mein Isländisch ist leider nachhilfebedürftig. Aber ich arbeite daran!

Im Sommer 1949 und 1950 haben sich ja insgesamt über dreihundert Frauen per Schiff auf den Weg nach Island gemacht. Wie kamen Sie speziell auf Híldur, Ursula, Anita, Alma, Hildegard und Mária, die sechs Frauen, die Sie nun in „Frauen Fische Fjorde“ portraitieren?
Das sind sechs von elf Frauen, die ich interviewt habe. Ich kam auf die, weil ich tatsächlich irgendwann mal begonnen habe, zu suchen. Meine isländische Freundin Greta und ich hatten dann das Glück, zuerst eine Frau zu finden, die sich als eine Art „Türöffner“ erwies. Sie rief nämlich all ihre Freundinnen an und sagte denen „Mit der könnt ihr reden!“. Interessanterweise habe ich nach Fertigstellung meines Buches erstaunlich viele Menschen getroffen, die sich an dem Thema schon versucht haben. Es gibt ein paar isländische Schriftsteller und auch einen deutschen, die die Geschichten der Frauen aufschreiben wollten. Aber die Frauen haben ihnen nichts erzählt.

Dass isländische Telefonbücher nach Vornamen sortiert sind, hat die Suche sicher erleichtert. Aber wie waren denn die ersten Reaktionen der Protagonistinnen auf Ihr Anliegen? Schließlich geht es hier um sehr persönliche Geschichten.
Es waren vorher auch schon ausländische Journalisten da, die was zu dem Thema machen wollten. Das hatte leider dazu geführt, dass ein gewisses Staunen und Entsetzen, vor allem aber eine starke Widerborstigkeit bei den Frauen bestand, weil sie von denen meist hinterher nie wieder etwas hörten. Es war also nicht so leicht, einen Fuß in die Tür zu kriegen. Ich wage die Behauptung, dass es ohne Greta, die bei vielen Interviews dabei war und die auch auf dem Hörbuch, das gerade entsteht, mit den Frauen auf Isländisch zu hören sein wird, nicht geklappt hätte.

Und wie lange hat es schließlich von der Idee bis zum fertigen Buch gedauert?
Die Idee ist vor fast zwei Jahren entstanden, im April 2010. Da war die Idee aber, einen Film zu machen. Die Idee das Buch zu machen kam ein halbes Jahr später, im August. Und im November bin ich dann das erste Mal dafür nach Island geflogen. Ich habe also anderthalb Jahre daran gearbeitet.

Die Heldinnen Ihres Buches leben über die ganze Insel verteilt und obwohl Autos die Islandpferde als gängiges Fortbewegungsmittel abgelöst haben, ist es mitunter immer noch abenteuerlich, auf Island von A nach B zu kommen. Schließlich ist nicht mal die Ringstraße komplett geteert, viele Pass-Straßen sind nur während der Sommermonate befahrbar und oft müssen Flüsse durchquert werden. Wie war das bei Ihnen? Haben Sie wie ihre Heldinnen in Ruderbooten und auf Pferderücken gesessen?
(lacht) Ich habe mir im Laufe des Projektes einen erstaunlich guten Rabatt bei Budget erfahren. Das zeigt, wie viel ich mich mit dem Auto durch Island bewege. Ganz oben im Norden kamen wir im Winter einmal selbst mit unserem Auto mit Spikes nicht mehr weiter. Da hat uns Gretas Onkel dann seinen dicken Jeep mit Vierradantrieb geliehen. Und wir sind natürlich innerhalb des Landes auch oft geflogen.

Haben Sie eine Ahnung, wie viele Kilometer Sie alles in allem bei Ihren Besuchen zurückgelegt haben?
Das ist lustig, ich habe gerade vor ein paar Tagen auf einer Lesung gesagt, dass ich für das Buch zwei Vulkane, ein Erdbeben und 70.000 Flug-Kilometer hinter mir habe. Die gefahrenen Kilometer auf Island habe ich aber nicht gezählt.

Noch was für die Statistiker: Haben Sie während Ihrer Recherche herausgefunden, wie viele der ursprünglich eingewanderten Gastarbeiterinnen auf Island geblieben sind und wie viele neue Einwohner die deutschen Frauen mit ihren isländischen Männern der Insel geschenkt haben?
Das ist eine gute Frage, die ich mir natürlich auch gestellt habe und es gibt ganz unterschiedliche Daten dazu. Es sind tatsächlich 460 oder 467 Frauen insgesamt gewesen. Ich bin der Meinung, dass mindestens 370 von ihnen dageblieben sein müssten. Und es gibt einen isländischen Wissenschaftler, Pétur Eiriksson – der ist übrigens, meine ich, Holzhändler und Historiker – und der hat diese Statistik gemacht und behauptet – und das glaube ich ihm heute nicht mehr – 1020 Nachfahren. Da kommen, denke ich, noch ein paar mehr dazu.

Sie sind ja nicht nur Journalistin und Autorin, sondern arbeiten in den USA auch als Drehbuchautorin und Dokumentarfilmerin. Gibt es Pläne, die berührenden und dramatischen Geschichten der Wahl-Isländerinnen zu verfilmen?
Ja, ich verhandele gerade die Spielfilm-Rechte für das Buch. Tatsächlich habe ich das Buch ja auch mit dem Auge einer Filmenden geschrieben, deshalb freue ich mich darüber ganz besonders.

Was war für Sie der schönste Moment, den Sie auf der Insel im Nordatlantik hatten?
Es gab viele schöne Momente! Ich glaube mein persönlich schönster Moment war, als ich im Interview mit Mária gesessen und mich erst einen Moment lang ganz unheimlich geschämt habe, weil es das erste Mal in 17 Jahren als Journalistin war, dass ich bei einem Interview weinen musste. Weil es so traurig war, was Mária erzählt hat. Und dieser Moment, wo Mária meinte Hand genommen hat und sagte „Dann weinen wir jetzt mal zusammen.“, ich würde wirklich behaupten, das war der schönste Moment.

Einmal abgesehen von diesen unglaublich tapferen, mutigen und inspirierenden Frauen, die Sie getroffen haben, was hat Sie persönlich am meisten an Island fasziniert?
(überlegt einen Moment) In mir findet gerade ein innerer Kampf statt. Und zwar darüber: Was finde ich eigentlich faszinierender, die Menschen oder die Landschaft. Weil die Menschen mindestens so faszinierend sind wie diese bizarre, schöne Landschaft, die etwas mit einem macht. Wenn ich schwere Interviews hatte, habe ich mir die Zeit genommen, in den bizarrsten Szenerien zu sitzen und das erst mal zu verarbeiten. Und diese Landschaft hilft einem. Das habe ich auch bei den Frauen gespürt. Dass die so heil geworden sind vom Krieg hat auch mit dieser Landschaft zu tun, dieser Ruhe, diesen Phänomenen, die man dort erlebt. Aber die Menschen halte ich für ebenso faszinierend!

Liebe Frau Siegel, herzlichen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Anja Otten-Reichel | Foto: © Axel Hartmann

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